Unternehmer*innen für eine Wirtschaft von morgen
Was die Wirtschaft in Krisenzeiten von der Kultur lernen kann
Interview mit Christine Ehlers, Leiterin des Workshops „Kultur hilft Wirtschaft: Win-Win in Krise und Wandel“ bei SINN|MACHT|GEWINN 2020
Christine, Du hast in deinem Workshop die interessante These aufgestellt, dass die Wirtschaft in diesen Krisenzeiten von der Kultur lernen kann. Was meinst du damit?
Christine Ehlers: Ja, genau das ist das Thema. Ich habe ja einen doppelten Kulturbegriff, weil ich Ethnologin bin, sowohl vom Studium als auch vom Selbstverständnis her. Und da ist Kultur für mich das Sinnstiftende, also der Prozess zwischen den Menschen. Gleichzeitig arbeite ich schon seit 15 Jahren in der Kultur- und Kreativwirtschaft. Und da geht um Filme, Bücher und so weiter. Also um Güter – und diese Güter haben Doppel-Charakter. Sie sind einerseits Kultur- und andererseits Wirtschaftsgut. Aus dieser Überlegung heraus bin ich zu dem Gedanken gekommen, dass Leute, die so etwas machen, eigentlich schon beide Seiten in sich tragen.
Wir kennen in der Regel nur die ausübenden Künstler, also die on stage stehen, wie Helene Fischer. Wir kennen aber nicht die Leute, die ihre Lieder schreiben. Wenn wir ins Kino gehen, kennen wir den Film, aber nicht die Leute, die das Kino betreiben. Wenn wir ein Buch lesen, kennen wir den Namen der Schriftsteller, wenn sie sehr berühmt sind. Wir wissen aber nicht, wie diese Schriftsteller ihr Werk überhaupt rausgebracht haben.
Da sind ganz viele Menschen in der Kulturwirtschaft unterwegs, die eine wahnsinnige wirtschaftliche Kompetenz haben. Die aber komplett anders ist als unsere, weil – das wissen wir auch alle – der Kulturschaffende absolut falsch in seinem Beruf wäre, wenn er zuerst aufs Geld gucken würde. Ein Komponist etwa erhält einmal im Jahr seine Tantiemen ausgeschüttet. Damit muss er ein Jahr auskommen. Der hat offenbar Fähigkeiten, von denen Unternehmer nur träumen können.
Kulturschaffende leben schon immer in Situationen, in denen wir uns jetzt alle befinden. Man kann auch sagen: Die VUKA-Welt ist jetzt bei allen angekommen. Jeden Tag ändern sich die Rahmenbedingungen, es ist völlig unklar, was nächste Woche sein wird. Das ist wahnsinnig komplex, aber für die Kulturschaffenden ist es ganz normal. Die bringen also ganz viel in sich mit, was für andere Leute hilfreich sein könnte. Und da setze ich an.
Inwiefern kann dieses Wissen Unternehmern helfen?
Ehlers: Ich entwickle gerade ein Modell, das aus Beratung und Begleitung von Unternehmern durch Kulturschaffende bestehen soll. Die Beratungssituation findet nach einer bestimmten Methode statt, die Reflecting Team heißt und die ich etwas umgebaut habe.
Ich beschreibe das am besten mal so: Da sitzen ein Filmkomponist, eine Schriftstellerin, eine Theater- und eine Kinobetreiberin zusammen. Die bekommen ein Gefühl für die jeweilige Unternehmer-Persönlichkeit und hören das sehr genau raus. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen werden auch miterfasst, also das Umfeld und wo überhaupt das Geschäft ist. Was will diese Person und was sind die Anforderungen der Umwelt? Das ist es genau, womit Kulturschaffende berufsmäßig immer zu tun haben. Wenn man einen Film herausbringen will, dann muss man den Geschmack des Regisseurs, den Geschmack des Produzenten, den Geschmack des intendierten Publikums und die Erfordernisse des Films kennen, um die richtige Vertonung hinzukriegen. Und außerdem noch wissen, wie viel Geld dafür zur Verfügung steht.
Das können diese vier Künstler mitdenken und dadurch entwickeln Sie zu viert innerhalb von zwei Stunden die Ideen, die für die Person, die gerade beraten wird, wirklich umsetzbar sind.
Nun könnte eine Crux sicher sein, in der Wirtschaft dafür die Akzeptanz zu schaffen und die Tür zu öffnen. Wie kann das funktionieren?
Ehlers: Das ist eben auch ein Punkt. Ich habe jetzt einen Kooperationspartner gefunden, der macht Markenaufbau und mit dem habe ich viel darüber gesprochen. Im Moment sind es Kleinstunternehmer, die mit viel Mut und Kreativität ihr Business betreiben. Wenn man sich traut, mit zwei oder fünf Leuten etwas zu starten, dann braucht man diese intrinsische Motivation, Inspiration und Beweglichkeit. Die sind für so etwas zugänglich. Dann gibt es die größeren Unternehmen, die sich den Kulturwandel auf die Fahne geschrieben haben. Das sind quasi natürliche Partner. Im Augenblick stehe ich noch am Anfang meiner Vorstellung, deswegen geht es erstmal um kleinste Unternehmen, weil die ökonomisch gerade dringend Hilfe brauchen.
Ich versuche derzeit, etwas über das Förderprogramm des Bundeswirtschaftsministeriums auf die Füße zu stellen, so dass diese Unternehmer erstmal eine Beratung bekommen, die ihnen weiterhilft, am Markt zu bleiben. Gleichzeitig bekommen die Kulturschaffenden durch die Honorare, die sie als Reflecting Team bekommen, eine zusätzliche Einnahmequelle. Die Erfahrungen, die wir da machen, sind im Idealfall natürlich alle hervorragend und entsprechende Erfahrungswerte können dann an die Unternehmer weitergetragen werden.
Was hat es mit der Plattform Hauptwissen.de auf sich?
Das ist die Visitenkarte meines Kooperationspartners. Der Prozess soll dreistufig sein. Erst die kleineren Unternehmen, dann die etwas größeren. Wenn wir da festgestellt haben, dass das funktioniert und wir das Pricing geklärt haben, also was die Leute bereit sind zu zahlen, dann fangen wir mit dem Markenaufbau an. Dann wird es auch eine eigene Website geben. Die Planung, die ich für das Wirtschaftsministerium gebaut habe, sieht eine neunmonatige Testphase für die kleinen Unternehmen vor, dann neun Monate für die größeren und drei Monate Markenaufbau. Also in rund zwei Jahren wäre es soweit, wenn wir 2021 starten. Mein Ausgangspunkt ist immer, dass die Kulturschaffenden vernünftig entlohnt werden
Wenn wir uns also Ende August 2021 bei SINN|MACHT|GEWINN wiedersehen, kannst du uns ein erstes Zwischenfazit geben?
Genau, im Moment haben wir den Kernprozess entwickelt und der ist wirklich toll. Aber es braucht einen Folgeprozess, der dazu führt, dass das Tolle auch verwirklicht wird. Und da benötigen gerade Kleinstunternehmen Ressourcen von außen. Sie haben ja nur einen Versuch, aber sie haben gerade Probleme. Da können sie nicht noch 1.000 Sachen zusätzlich machen.
Was wünschst du dir an Unterstützung jenseits von Ministerien und Fördermitteln?
Es gibt verschiedene Fragestellungen, die noch beantwortet werden müssen. Da kann man noch inhaltlich mitbauen, zum Beispiel beim Fragebogen, den ich entworfen habe. Der spricht auch die Werte an. Ich nenne das Rückblick, Einblick, Ausblick. Einblick heißt: Was ist deine Motivation? Ausblick heißt: Wo willst du hin Da habe ich schon die Rückmeldung von Unternehmern bekommen, dass sie es schwierig finden zu verstehen, was ich damit meine. Hier wünsche ich mir konkrete Unterstützung.
Wenn ich die Finanzierung sicher habe, dann wünsche ich mir natürlich auch weitere Unternehmer, die Ideen entwickeln können. Meine Hoffnung ist, dass sich das ausbreitet und wir vielleicht später eine Akademie gründen oder ähnliches.
Vielen Dank für diese Einblicke in deine spannende Vision. Wir wünschen dir viel Erfolg bei der Umsetzung und freuen uns auf deine Berichte.
Das Interview führte Ronald Battistini.
Über Christine Ehlers
Christine Ehlers ist Ethnologin mit ausgeprägtem Faible für Sprache und Text. Kultur, Kommunikation, Konflikt sind die drei großen K in ihrem (Arbeits-)Leben. Dort stellt sie die Welt gern auf den Kopf – sowohl als Kreativmethode, als auch perspektivisch.
Besonders fasziniert ist sie von Menschen auf der anderen Seite unserer Welt – den Maori Neuseelands. Daneben findet Christine Neurowissenschaften spannend, ist Anhängerin des erlebnisbasierten Lernens und findet, dass eine Mediation alles andere als Wattebäuschen-Schmeißen ist.
Nach vielen Jahren als Angestellte hat sie sich im Januar 2017 selbstständig gemacht und berät Verbände und Unternehmen in Kommunikationsfragen, mediiert im Arbeits- und Wirtschaftsleben und bietet unterschiedliche Workshops rund um Themen wie Wertschätzung und werteorientiertes Arbeiten an.
Website: www.wert-erleben.de
Bei SINN|MACHT|GEWINN 2020 leitete Christine den Workshop „Kultur hilft Wirtschaft: Win-Win in Krise und Wandel“. Angestoßen vom SINN|MACHT|GEWINN-Kongress im vergangenen Jahr überlegte sich Christine, dass es bestimmt spannend wäre, wenn Kulturschaffende und UnternehmerInnen gemeinsam an neuen Geschäftsmodellen arbeiten würden. Im Corona-Lockdown nahm die Idee wieder Fahrt auf. Denn die Arbeitswelt von Kulturschaffenden ist schon seit Jahrzehnten volatil, unsicher, komplex und ambivalent (VUKA). Sie sind Experten in solchen Situationen.
Zu diesen Themen teilt Christine sehr gern ihr Know-how und ihre Erfahrungen:
Mediatives Coaching
Projektmanagement als externe Dienstleisterin
Biografiearbeit im Wirtschaftskontext
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Christine Ehlers
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Veröffentlicht am 04. Februar 2021