"Zukunfts-Würde" und die Wellen des Wandels

Die neueste Kolumne von Matthias Horx

"Wie heißt das Next Age?"

fragt Matthias Horx in seiner Neuesten Kolumne und spannt den Rahmen von dieser Frage über das aktuell weit verbreitete Gefühl eines "zukunftslosen Zustands" und das damit verbundene "Kafka-Gefühl" hin zu den Omnikrisen unserer Zeit.

Mit der Vorstellung Sigmoidkurven, die u.a. Jonas Salk, der Erfinder es Impstoffes gegen Kinderlähmung, entdeckte, liefert Matthias Horx ein eingängiges Erklärbild dafür, wo wir uns in der Entwickung von Epochen gerade befinden.

Bei den beiden Phasen von Sigmoidkurven, es handelt sich eigentlich um ZWEI Kurven: Eine aufsteigende und eine abschwächende Phase. In der Mitte einer Sigmoidkurve existiert ein inflection point, ein Wendepunkt, an dem sich „die Richtung ändert“. Dieser trennt den ersten Teil der Kurve vom zweiten.

Er erläutert:
"Im acceleration growth herrschen expansive Erwartungen: Optimismus, Euphorie, Aufbruch – alles passt irgendwie zusammen. Das Denken ist erwartungsvoll und optimistisch – zukunftsorientiert eben. Die Haltungen und Handlungen der Menschen sind expansiv, vorwärtsstrebend, „progressiv“. Wie sang die Band Fehlfarben in den neunziger Jahren? – „Keine Atempause, Geschichte wird gemacht – ES GEHT VORAN!“.

Wenn die Kurve sich wendet (deceleration growth), dreht sich der Erwartungshorizont der Kultur: Man spürt, dass es „so nicht mehr weitergehen kann“. Aber man will es nicht so gerne wahrhaben. Ängste breiten sich aus, Bezichtigungen wuchern. Kommende Knappheiten werden vermutet – und durch gesteigerte Furcht regelrecht hergestellt. Unruhen und Hysterien häufen sich. Die Gesellschaft spaltet sich in jene, die um jeden Preis noch schneller voran wollen – in die rasende Exponentialität. Und einen Teil, der eher auf die Bremse treten möchte. Um sich neu orientieren zu können, mit dem Blick auf eine mögliche Stabilisierung.

Kommt uns das alles nicht irgendwie bekannt vor?

Man kann den Epochen-Übergang auch in einer „Zitterkurve“ darstellen, zwischen ansteigender und absteigender Kurve liegt eine Phase der chaotischen Turbulenz. Wie lange diese Turbulenz dauert, ist schwer vorherzusagen. Es hängt von der Reife einer Bevölkerung ab. Von der Weisheit von Leitpersonen. Von der Wandlungsfähigkeit, der Future Fitness der Gesellschaft – der Fähigkeit, in veränderten Umständen adaptiv zu werden."

Jonas Salk schrieb dazu in seinem Buch "A new reality":
„Wir stehen an einer Grenze. Aber sie ist weder territorial noch technologisch, sie ist menschlich und sozial. In dieser Zeit sich verändernder Bedingungen und Werte kommen Zweifel auf, ob wir diese Grenze überschreiten und den Anforderungen der Zukunft gerecht werden können … Wenn uns das gelingt, werden wir aus der gegenwärtigen Zeit nicht nur als Überlebende hervorgehen, sondern als Menschen in einer neuen Realität.“

Und Horx schlussfolgert:
"Neue Epochen entstehen nicht durch Planung, sondern durch Reaktionen auf Krisen. Sie stabilisieren sich sozusagen „rückwärts“, durch Neuanfänge, aus denen irgendwann Kontinuität wächst.

In Zeiten der Omnikrise sollten wir zunächst Enttäuschungskompetenz üben. ... Damit wir nicht innerlich am Alten kleben bleiben, und immer nur Verluste bejammern, ist es wichtig, nutzlose Illusionen loszulassen.

Wir gewinnen die Zukunft, wenn wir wieder zu Staunen beginnen. Was alles trotzdem möglich ist. Was alles noch werden kann. ...

Es geht um Würde. Eine Art Zukunfts-Würde die uns aus der ewigen Jammer-, Angst- und Beschwerderoutine herausführt. Nicht ins Abseits, sondern ins Doing Future.

Doing Future meint: Mit der Zukunft im Jetzt beginnen. „Die Zukunft ist keine ferne Zeit, sondern etwas, das alle Menschen ständig erzeugen.“ (Florence Gaub. Eine neue Epoche beginnt immer im Kleinen, im Provisorischen, im Zwischenmenschlichen. Neue Lebensformen zu entwickeln. Neue Ökonomien zu probieren. Durch neue Gedanken über sich selbst hinauswachsen. Der Verunsicherung eine „Protopie“ entgegenzusetzen – ein Handeln über den Tag hinaus, mitten in der Praxis des Lebens."

Das stimmt mich nun wieder zuversichtlich.

Informationen

Veröffentlicht am 06. Januar 2025

Relevante Themen

Kongress Anmeldung