Wir entwickeln Gemeinwohl-Banking, um Nachhaltigkeit und Innovation zu fördern

Interview mit Daniel Sieben, Experte für Finanzierungen in der Gemeinwohl-Ökonomie

Wir entwickeln Gemeinwohl-Banking, um Nachhaltigkeit und Innovation zu fördern

Daniel Sieben, Banken in Deutschland gelten als konservativ und risikoscheu. Was bedeutet das für Unternehmen, deren Geschäftsmodelle nachhaltig und zukunftsorientiert sind?

Die haben es tendenziell schwer, an Finanzierungen zu kommen. Zum einen, weil sie neue Geschäftsmodelle haben. Aber vielleicht auch, weil sie neu am Markt sind und noch nicht die Historie haben, die sich eine Bank für die Beurteilung wünscht. Denn die Bank will ja bei einer Finanzierungszusage sicher sein, dass sie ihr Geld zurückbekommt. Das ist für Innovationen und nachhaltige Entwicklungen eher ein Nachteil.

 

Das betrifft die Unternehmensseite. Aber inwiefern müssen sich auch Banken ändern, um für die Wirtschaft, aber auch als Arbeitgeber künftig attraktiv zu sein.

Banken haben ein negatives, verstaubtes Image und sie merken, dass sie immer mehr Nachwuchsprobleme bekommen. Die Attraktivität als Arbeitgeber kann nicht mehr allein über gute Verdienste oder vielleicht noch die Arbeitszeiten reguliert werden. Die Sinnerfüllung wird immer mehr zum Bedürfnis. Insofern findet dort langsam ein Umdenken statt.

Ich habe gerade als Berater ein Projekt bei einer größeren Bank begleitet. Mein Eindruck ist: Wenn sie Nachhaltigkeit im Unternehmen implementieren wollen, dann sollte im Lenkungsausschuss auch mal ein Azubi gehört werden. Die jungen Mitarbeiter müssen ja nicht gleich die Entscheidungen treffen, aber ihre Meinungen sollten einfließen. Wenn jemand immer mit dem Fahrrad zur Arbeit kommt, dann steht derjenige ja für etwas. Und mit dem sollte ein Austausch stattfinden, das wäre auch für das Unternehmen hilfreich und ein guter Schritt als Arbeitgeber.

 

Du hast in deinem Forum für Finanzierungen vom Systemwechsel der nachhaltigen Transformation gesprochen. Was müssen wir uns darunter konkret vorstellen?

Systemwechsel hat für mich zwei Ebenen. Zum einen die Nachhaltigkeit, wie wir sie auf die Außenwelt mit den drei Bereichen Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft projizieren. Das ist für mich so eine pathologische Fixierung aufgrund unserer Konditionierung. Wir glauben, die Außenwelt sei die reale Welt. Aber das ist wissenschaftlich überholt. Die Innenwelt ist genauso real, ja sie spiegelt sogar die Außenwelt. Das heißt die Transformation gilt genauso der Innenwelt, und das ist noch ein großer schwarzer Fleck. Was bedeutet eigentlich Innenwelt, können wir uns die anschauen?

Als Banker etwa ist das Tabu, man redet über Zahlen und Fakten, nicht Gefühle. Aber da findet gerade die Transformation statt. Denn die Außenwelt entspricht immer unserer inneren Konditionierung. Wenn wir unsere Gefühle abspalten und nicht ganz Mensch sind, dann spüren wir auch nicht mehr, was etwa die Krise mit uns macht. Oder was es bedeutet, wenn wir andere ausbeuten, ihnen die Lebensgrundlage entziehen. Nicht zu fühlen ist Teil des Problems und das zu transformieren ist die große innere Aufgabe. Mehr zu fühlen und zu spüren und sich nicht gegenseitig mit Informationen unablässlich zu berieseln.

 

In welchem Maße ändert sich da gerade etwas und ist das ausreichend? Kann man das etwas befeuern, dass es schneller geht?

Es gibt sehr nachhaltige Unternehmen, die stoßen gerade an Grenzen. Wenn sie ihre Mitarbeiter mit weiteren Veränderungen konfrontieren, dann entsteht eine Erwartungshaltung und gleichzeitig auch ein Sättigungseffekt. Mit ständigen äußeren Veränderungen können wir dauerhaft keine innere Zufriedenheit herbeiführen. Dies ist ein innerer Prozess – die eigene Zufriedenheit unabhängig vom Äußeren zu spüren. Dies ist unsere große Aufgabe. Es geht immer um die innere Ganzheit und Fülle der Zufriedenheit. Und das passt nicht zu unserem alten Menschenbild, aber daran müssen wir arbeiten. Das kennt jeder, der meditiert. Wenn ich das Außen loslasse, entspannt sich etwas.

 

Nochmal zu den ganz konkreten Herausforderungen von Unternehmen, die ihre Produkte und Dienstleistungen enkeltauglich machen wollen. Welche Möglichkeiten haben die, ihren Finanzbedarf zu decken?

Wir wollen ihnen bessere Möglichkeiten bieten und haben ein Produkt entwickelt, das sich Gemeinwohl-Banking nennt. Das heißt, es wird bei Banken die Möglichkeit geben, sein Geld exklusiv für Gemeinwohlprojekte anzulegen. Dafür haben wir einen Kriterienkatalog entwickelt, was gemeinwohlfähig ist. Jetzt brauchen wir Banken, die das umsetzen. Und damit sich hier Dynamik entwickelt, brauchen wir auch Kunden, also Kreditnehmer, die das Produkt nachfragen und ihre Banken etwas damit nerven. 

 

Gibt es Banken, die signalisiert haben dabei zu sein?

Es gibt Interessensbekundungen, die wir noch konkretisieren müssen. Es ist ja ein neues Produkt. Man muss natürlich immer schauen, wo die Bank steht. Sie braucht ein gewisses Verständnis von Nachhaltigkeit, um dieses konsequent anzubieten. Für einige kommt es vielleicht zu früh, aber die Sparkassen und Volksbanken etwa sind aufgerufen, in den kommenden drei bis vier Jahren ein hohes Niveau an nachhaltigen Ambitionen zu entwickeln und dafür ist das sicher das passende Produkt. Wenn wir es also jetzt vorstellen, dann hoffen wir, dass sich in den kommenden Jahren hier sehr viel Dynamik entwickeln wird. Bis dahin müssen sich aber Unternehmen, die eine gemeinwohlorientierte Finanzierung haben wollen, wohl noch etwas gedulden.

 

Kannst du denn jetzt schon Banken empfehlen, die für das Thema zumindest ein offenes Ohr haben?

Es gibt die etablierten Nachhaltigkeitsbanken und einige, die diesen Shift schon mitmachen wollen. Vor allem aus Österreich, weil dort die Gemeinwohlbewegung viel stärker und präsenter ist als in Deutschland. Da sind dann auch Raiffeisenbanken und Sparkassen dabei. Auch kleinere und für die ist das schon ein gewisser Aufwand, weil die Geldflüsse ja separat vom herkömmlichen Geschäft gemanagt werden müssen. 

 

Wie können Banken Nachhaltigkeit in ihr Geschäftsmodell implementieren?

Es gibt einen Leitfaden für Banken, wie man Nachhaltigkeit implementieren kann. Auf dem höchsten Ambitionsstufe wird gesagt, dass diese Bank einen nachhaltigen Beitrag zur Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft zu einer Gemeinwohl-Ökonomie leisten will. Es ist eine schöne Leistung, dass dieser Begriff dort erwähnt wird. Leider wird diese höchste Stufe nicht empfohlen, denn das würde bedeuten, nur noch als Gemeinwohlbank tätig zu sein und alles andere wegzulassen. Hier ist die Aufgabe, GWÖ noch mehr in die Mitte zu schieben. Viele Banken, die die Stufe 4 erreichen wollen, benötigen lokale Kreditprodukte, die sie selber auflegen. Da würde es gut passen und es entstehen bereits Banken, die diese Ambitionen entwickeln. 


Das Interview führte Ronald Battistini

Über Daniel Sieben

Daniel Sieben ist beratender Volkswirt und war als Relationship Manager im Firmenkundengeschäft bei drei nachhaltigen Banken tätig. Seit Sommer 2020 absolviert er eine zweijährige Weiterbildung als systemischer Coach, Organisationsberater und Supervisor. Fast gleichzeitig mit dem Studium der Volkswirtschaftslehre begann er mit der Praxis der Achtsamkeits- und Einsichtsmeditation. In seiner Promotion über einen nachhaltigen Bewusstseins- und Verhaltenswandel vereinte er Wirtschaft, Wissenschaft und Spiritualität zu einem Ansatz für innere und äußere Nachhaltigkeit. Daraus entwickelte er über den Zwischenschritt der „systemischen Nachhaltigkeit“ das Leitbild einer tiefensystemischen Nachhaltigkeit und Transformation.

Er war mehrere Jahre im Vorstand der Vereinigung für ökologische Ökonomie (VÖÖ), auf einem Demeter-Betrieb und in einer Nachhaltigkeitsgemeinschaft tätig. Aktuell beendet Daniel ein Projekt zur Schaffung von Gemeinwohl-Krediten.

Im Januar 2021 erschien sein Buch "Ganz Mensch Sein: Wie wir die Schein-Nachhaltigkeit überwinden - Ein Transformationsleitbild". Darin zeigt er auf, dass der Aufbruch in eine nachhaltige Zukunft erst gelingt, wenn wir wieder in Beziehung treten — mit uns selbst, miteinander und mit der Umwelt.

Beim Kongress 2021 veranstaltete er mit Balázs Tarsoly das Forum „Unternehmensverantwortung CO2-Neutralität“ sowie mit Silke Hohmuth das Forum „Finanzierungen für Nachhaltigkeit und Innovation“.

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Veröffentlicht am 18. November 2021

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